Haben und Brauchen – Offener Brief zur geplanten City Tax in Berlin Unter dem Motto „Freie Szene stärken! Geist ist noch flüchtiger als Kapital – haltet ihn fest!“ hat die Koalition der Freien Szene eine Kampagne gestartet. Vom 23. August – 28. September 2013 will die Kampagne auf die Unverhältnismäßigkeit aufmerksam machen möchte, die zwischen der enormen Wertschöpfung, die Berlin durch die tägliche künstlerische Arbeit der Freien Szene gewinnt, und der marginalen Förderung, die die Berliner Politik der Freien Szene zukommen lässt, existiert. Haben und Brauchen hat sich im April 2013 mit einem Offenen Brief an den Regierenden Bürgermeister gewandt, in dem wir uns für eine Nutzung der zu erwartenden zusätzlichen Einnahmen aus der Citytax für die Freie Szene ausgesprochen hat. Die politischen Verhandlungen zur Citytax dauern noch an. Wenn Sie aber heute schon ihre Stimme abgeben wollen für die Förderung und den Erhalt der vielfältigen Kulturlandschaft Berlins, können Sie das hier tun: ALLE, die diesen offenen Brief unterstützen wollen, sind eingeladen, hier zu unterzeichnen: www.habenundbrauchen.kuenstler-petition.de Berlin, den 19. April 2013 Sehr geehrter Klaus Wowereit, wie in vielen anderen Städten soll auch in Berlin die sogenannte City Tax eingeführt werden: die Besteuerung privater Übernachtungen in Höhe von ca. 5% des Hotelpreises. Drei Viertel aller Touristen geben an, aufgrund des Kulturangebots in die Stadt zu kommen. Seit Aufkommen der Idee einer Berliner City Tax steht deshalb die Forderung im Raum, den Großteil der Mehreinnahmen in Höhe eines zweistelligen Millionenbetrages dem Kulturbereich und darin vor allem der dramatisch unterfinanzierten freien Szene[1] zuzuführen. Die Argumentation lautet, dass die freien Kulturschaffenden, unabhängigen Projekträume und Spielstätten maßgeblich zum Image Berlins als vielfältiger und innovativer Kunstmetropole beitragen. PolitikerInnen von SPD, CDU, Grünen und Linke haben sich für die Verwendung der geplanten City Tax für die Kultur ausgesprochen. Der konkrete Gesetzesentwurf wird aktuell senatsintern diskutiert. Die Entscheidung, welchem Bereich die zusätzlichen Steuereinnahmen zufließen – Steuern können an sich nicht zweckgebunden erhoben werden –, trifft das Abgeordnetenhaus und ist somit Gegenstand politischer Willensbildung. Mit dem Zehn-Punkte-Programm der Koalition der Freien Szene[2], die 50% der Einnahmen aus der City Tax für „eine angemessene und nachhaltige Förderpolitik für freischaffende KünstlerInnen und KulturproduzentInnen“ fordert, liegt seit Ende letzten Jahres ein Konzept für die Verwendung der zusätzlichen Mittel vor.[3] Das Papier beinhaltet u.a. neue Projekt- und Produktionsfonds für die freie Kunst-, Musik- und Theaterszene, verbindliche Ausstellungshonorare und den Erhalt der bezirklichen Kulturförderung. Obwohl die Einführung der City Tax in der Koalitionsvereinbarung zwischen SPD und CDU für den 1. Januar 2013 angekündigt[4] und erst unlängst auf frühestens 2014 verschoben wurde, hat sich die Senatskanzlei – Kulturelle Angelegenheiten das Projekt bisher weder aktiv und sichtbar zu eigen gemacht noch ein Konzept zur möglichen Nutzung der Einnahmen entwickelt. Die Kulturverwaltung steht jedoch seit kurzem diesbezüglich im Dialog mit VertreterInnen der Koalition der Freien Szene und des Rats für die Künste[5]. WIR STELLEN FEST: – Die Produktion von Kunst ist eine am Gemeinwesen orientierte Tätigkeit. In der künstlerischen Arbeit werden gesellschaftliche Prozesse immer wieder neu und anders beschrieben und erforscht, kritisch reflektiert und experimentell weitergedacht. Die zeitgenössische Kunst produziert und kommuniziert Wissen, sie schafft Räume, in denen gesellschaftliches Handeln als Wert erfahrbar wird. Durch das, was in der Kunst Gestalt annimmt, gelangt die Gesellschaft zu einem Begriff und Bewusstsein von sich selbst. Diese Praxis basiert gerade auf der grundsätzlichen Zweckfreiheit der Kunst. Aus diesem Kunstverständnis heraus sprechen wir über Kulturproduktion und deren öffentliche Förderung. – Die Tätigkeiten von Kulturschaffenden werden nach wie vor als Kapital und Zukunftsmotor der postindustriellen Stadt gefeiert. Hinter dem Erfolgsversprechen der neuen Kreativ-Ökonomie versteckt sich aber eine Wirklichkeit desolater Arbeits- und Lebensverhältnisse. Wir lehnen es ab, der Kulturalisierung der Ökonomie (z.B. in Form der Deregulierung von Arbeit) den Zauber des Künstlerischen zu geben – und dabei der Ökonomisierung der Kultur zuzuarbeiten, deren erstes Opfer das Künstlerische selbst ist. Wer die Kunst auf Nützlichkeitseffekte, Effizienzmaßstäbe und Marktförmigkeit reduziert, leugnet die fundamentale Bedeutung von Kunst und Kultur in einer heterogenen, offenen und demokratischen Gesellschaft.[6] – Es ist hinlänglich bekannt, dass die Mieten in den zentralen Lagen Berlins zunehmend unbezahlbar werden, Atelier- und Proberäume verloren gehen und professionelle künstlerische Arbeit zumeist auf Selbstausbeutung basiert. Das Ungleichgewicht in der bisherigen Förderpraxis zu Ungunsten der Freischaffenden sowie vieler kleinerer Institutionen und Initiativen ist nicht mehr hinnehmbar. Die freie Szene ist hochgradig selbstbestimmt und selbstorganisiert, benötigt jedoch die Perspektive stabiler Rahmenbedingungen für die künstlerische Produktion. Deren langfristige Verbesserung wird nicht durch medienwirksame Leuchtturmprojekte und Preisvergaben erzielt, sondern durch eine differenzierte Strukturförderung, welche die bestehenden Förderinstrumente anhebt und durch zeitgemäße Fonds (Recherche, Produktion, Räume, etc.) sowie Honorarordnungen ergänzt. – Wir als KünstlerInnen, KulturproduzentInnen und -vermittlerInnen wollen vom Funktionieren des Berlin-Tourismus keineswegs abhängig sein. Wir wollen nicht mehr Tourismus, um durch die Besteuerung privater Hotelübernachtungen besser überleben zu können! Warum wir die Beanspruchung der Erlöse aus der City Tax dennoch befürworten: Die zu erwartenden Mehreinnahmen setzen das Argument außer Kraft, das Land Berlin sei zu pleite, um den Kulturetat in absehbarer Zukunft signifikant erhöhen zu können. Die verbindliche Vergabe dieser Mittel an den Kulturbereich muss ein Instrument zur Finanzierung der Gleichstellung von institutioneller und freier Szene in der Förderpolitik des Senats sein.[7] Mit dieser Zielvorgabe müssen die Gespräche zwischen Kulturverwaltung, freien und institutionellen Akteuren geführt werden. Sie sollten transparent angelegt und ihre Ergebnisse öffentlich zur Diskussion gestellt werden. WIR FORDERN: – 100% der City Tax-Einnahmen für freischaffende KulturproduzentInnen, Projekträume und Spielstätten sowie prekär arbeitende Kunst- und Kulturinstitutionen. – die öffentlich sichtbare Positionierung des Kultursenators in der Debatte um die Verwendung der geplanten City Tax für den Kulturbereich auf Grundlage eines Konzepts, das gemeinsam und auf einer Augenhöhe mit freien und institutionellen Akteuren entwickelt wird. – die Umsetzung der in der Koalitionsvereinbarung zwischen den Regierungsparteien getroffenen Aussage, die freie Szene verstärkt fördern und deren Rahmenbedingungen verbessern zu wollen[8], in konkretes und aktives politisches Handeln – unabhängig davon, wann und ob die City Tax letztlich kommt oder nicht. – eine neue, qualifizierte und zukunftsfähige Kulturpolitik, die die Wirklichkeit und gesellschaftliche Bedeutung der selbstorganisierten künstlerischen Praxis anerkennt, die durch die besonderen historischen Bedingungen und Freiräume Berlins hervorgebracht wurde. UnterzeichnerInnen: Petrov Ahner, Dorothee Albrecht, Andreas Altenhof, Mario Asef, Markus Bader, Sandra Bartoli, Stéphane Bauer, Ute Meta Bauer, Leonie Baumann, Silvia Beck, Jochen Becker, Matthias Beckmann, Wibke Behrens, Gabi Beier, Daniel Belasco Rodgers, Chris Benedict, Ursula Maria Berzborn, Christoff Bleidt, Ellen Blumenstein, Monica Bonvicini, Laurence Bonvin, Shannon Bool, Daniela Brahm, Anna Bromley, Thomas Bruns, Sabeth Buchmann, Marcel Bühler, Matthew Burbidge, Libia Castro, Filipa César, Michael Clegg, Martin Conrads, Dellbrügge & de Moll, Diedrich Diederichsen, Ursula Döbereiner, Helmut Draxler, Christoph Dreher, Birgit Effinger, Ekkehard Ehlers, Matthias Einhoff, Ulrich Ernitz, Lou Favorite, Silvia Fehrmann, Tatjana Fell, Ulrike Feser, Jesko Fezer, Nina Fischer & Maroan el Sani, Micz Flor, Rike Frank, Anselm Franke, Nikolai Franke, Joerg Franzbecker, Roland Fuhrmann, Peter Funken, Kristoffer Gansing, Henryk Gericke, Maurus Gmür, Cristina Gómez Barrio, Erik Göngrich, Pierre Granoux, Raphaël Grisey, Annett Gröschner, Sönke Hallmann, Gerd Hartmann, Michael Hauffen, Frauke Havemann, Hans Hemmert, Vanessa Henn, Naomi Hennig, Tobias Hering, Pablo Hermann, Carina Herring, Mathias Heyden, Paula Marie Hildebrandt, Tom Holert, Annette Hollywood, Ralf Homann, Laura Horelli, Gabriele Horn, Philip Horst, Gregor Hotz, Markus Huber, Dominique Hurth, Katharina Jedermann, Karl Heinz Jeron, Ela Kagel, Kerstin Karge, Karin Kasböck, Anne Kersten, Thomas Kilpper, Julian Klein, Christophe Knoch, Alexander Koch, Andreas Koch, Doris Koch, Dorothea Kolland, Nina Korolewski, Bernhard Kotowski, Folke Köbberling, Florian Köhl, Eva Könnemann, Hannah Kruse, Stefan Krüskemper, Ulrike Kuschel, Christine Lang, Pia Lanzinger, Heimo Lattner, Julia Lazarus, Ines Lechleitner, Achim Lengerer, Regina Liedtke, Silvan Linden, Kai Lorenz, Nadine Lorenz, Cornelia Lund, Holger Lund, Annette Maechtel, Moritz Majce, Antje Majewski, Yutaka Makino, Sandra Manhartseder, Séverine Marguin, Wolfgang Mayer, Diana McCarty, Angela Melitopoulos, Doreen Mende, Nikolaus Merck, Karolin Meunier, Herbert Mondry, Tina Müller, Wolfgang Müller, Ute Müller-Tischler, Alice Münch, Anh-Linh Ngo, Frank Oberhäußer, Ólafur Ólafsson, Sonja Ostermann, Marie-josé Ourtilane, Kirsten Palz, Anne Passow, Andrea Pichl, Katrin Plavcak, Judith Raum, Karin Rebbert, Axel Daniel Reinert, Thomas Rentmeister, Cornelia Renz, Angelika Richter, Christian Römer, Stefan Römer, Constanze Ruhm, Barbara Rüth, Harry Sachs, Susanne Sachsse, Natascha Sadr Haghighian, Jochen Sandig, Jan Sauerwald, Ines Schaber, Bernd Scherer, Birgit Schlieps, Les Schließer, Martin G. Schmid, Florian Schmidt, Marc Schmolling, Detlev Schneider, Meggie Schneider, Frieder Schnock, Nadja Schöllhammer, Pit Schultz, Michael Schultze, Max Schumacher, Maya Schweizer, Marcel Schwierin, Judith Siegmund, Heidi Sill, Marina Sorbello, Heinz Stahlhut, Raimar Stange, Anita Stöhr Weber, Christoph Tannert, Signe Theill, Mina Tinaburri, Stella Veciana, Vlado Velko, Jan Verwoert, Friedrich von Borries, Katja von Helldorff, Moritz von Rappard, Clemens von Wedemeyer, Penelope Wehrli, Ute Weiss Leder, Jutta Weitz, Antje Weitzel, Christina Werner, Franziska Werner, Anke Westermann, Maya Weyermann, Barbara Wille, Simone Willeit, Susanne Winterling, Marc Wohlrabe, Maik Wolf, Thomas Wulffen, Florian Wüst, Miya Yoshida, Simone Zaugg, Florian Zeyfang, Lena Ziese, Inga Zimprich, Moira Zoitl ALLE, die diesen offenen Brief unterstützen wollen, sind eingeladen, hier zu unterzeichnen: www.habenundbrauchen.kuenstler-petition.de Download pdf: HuB_OffenerBrief_CityTax_Handout_dt Kontakt: info@habenundbrauchen.de ________________ 1 Unter „freier Szene“ wird die Gesamtheit der frei produzierenden KünstlerInnen, Gruppen, Initiativen und Einrichtungen in freier Trägerschaft aus den Bereichen Architektur, Bildende Kunst, Film, Literatur, Musik, Neue Medien, Tanz und Theater verstanden. 2 Die Koalition der Freien Szene ist der Zusammenschluss freier künstlerischer Initiativen, Institutionen und professionellen KünstlerInnen aller Sparten. www.berlinvisit.org 3 Vgl. Koalition der Freien Szene – Die Zukunft der Freien Szene: Zehn Punkte für eine neue Förderpolitik, Berlin 2012. koalitionfszb.bplaced.net/wordpress/?p=459 4 Vgl. Berliner Perspektiven für starke Wirtschaft, gute Arbeit und sozialen Zusammenhalt. Koalitionsvereinbarung zwischen SPD und CDU für die Legislaturperiode 2011–2016, SPD Landesverband Berlin und CDU Landesverband Berlin (Hrsg.), Berlin 2011, S. 42. www.spd-berlin.de/positionen/koalitionsvereinbarung-2011-2016/ 5 Der Rat für die Künste vertritt als gewähltes unabhängiges Gremium die Berliner Kultur. Die Mitglieder des Rates sind aktuell 24 Persönlichkeiten, die mehrheitlich bekannte Berliner Kulturinstitutionen, Festivals und Verbände repräsentieren. www.rat-fuer-die-kuenste.de 6 Vgl. Haben und Brauchen – Manifest, Berlin 2012. www.habenundbrauchen.de 7 Die City Tax ist nur eine Möglichkeit der zukünftigen Finanzierung der Gleichstellung institutioneller und freier Kulturproduktion. Wenn der Berliner Kulturhaushalt bereits jetzt die anstehenden Tariferhöhungen u.a. in der Opernstiftung bewältigen kann, dann muss für die Förderung der Freien das Gleiche gelten. 8 Vgl. Berliner Perspektiven für starke Wirtschaft, gute Arbeit und sozialen Zusammenhalt, S. 92. ________________ ANTWORT VON ANDRÉ SCHMITZ vom 16. Mai 2013 Sehr geehrte Unterzeichnerinnen und Unterzeichner des offenen Briefes an Klaus Wowereit, der Regierende Bürgermeister dankt Ihnen für den offenen Brief, Wie Sie wissen, befasst sich das Abgeordnetenhaus in erster Lesung dieser Tage mit dem Gesetz über eine Übernachtungssteuer. Mithin ist es noch zu früh, um über die Verwendung der Einnahmen aufgrund dieses Gesetzes eine Aussage treffen zu können. Ich habe mich stets dafür eingesetzt, dass die Einnahmen weitgehend der Kulturförderung dienen, sind es doch die Kultur und die Künstlerinnen und Künstler, die diese Stadt (auch) für Touristen attraktiv machen. Insofern ist es ein erster Schritt, wenn es in der Senatsvorlage heißt, dass " das Aufkommen dieser Steuer, angestrebt ist ein Anteil von 50 v.H. - unmittelbar touristischen und kulturellen Zwecken" zur Verfügung gestellt werden soll. Wie Sie bin ich der festen Überzeugung, dass der freien Szene Berlins besondere finanzielle Aufmerksamkeit beigemessen werden muss und dass die Einnahmen aus der City-Tax daher auch diesem Bereich zugutekommen sollten. Hierzu werden wir weiterhin den Austausch mit dem Rat für die Künste und der Koalition der freien Szene suchen. mit freundlichen Grüßen André Schmitz Brief zum Downlaod als pdf: Antwort_AndréSchmitz_16052013