Der Hauptstadtkulturfonds und seine schleichende Verstaatlichung

Kritik an der Verfassung und Arbeitsweise des Hauptstadtkulturfonds              
Der Hauptstadtkulturfonds, hervorgegangen 1995 aus einer Initiative des Rates für die Künste, war zunächst ein aus der künstlerischen Praxis selbst entwickeltes, von der Kultur wesentlich bestimmtes und von ihr selbst verantwortetes, innovatives, kulturpolitisches Förderinstrument. Es fügt sich zudem als ein neues und kooperatives Element in das in der Kulturpolitik besonders schwierige Verhältnis Bund/Berlin ein. Der HKF sollte über die aktuell bestehenden Berliner Kulturförderungen und ihre Programme hinausgehende innovative, kleine wie große Projekte aus allen künstlerischen Sparten fördern, die Neues, Ungewöhnliches entwickeln und bisher bestehende Defizite ausgleichen. Gerade die lebendige Vielfalt der unterschiedlichen Szenen der Stadt und die noch nicht etablierte Kunst sollten von der neuen Förderung profitieren, so der Rat für die Künste in einem Bericht aus dem Jahre 1996. Davon ist heute nicht mehr viel übrig geblieben. Der Fonds ist jetzt zu einem großen Teil in ein kulturpolitisches Hinterzimmer umgebaut worden, in dem Verwaltungsvertreter des Bundes und Berlin, im Gemeinsamen Ausschuss, ohne öffentliche Kontrolle Fördereinzel- und Schwerpunktentscheidungen treffen können. Entscheidungen ohne Jurybefassung: Formal wurden die Förderentscheidungen nach Juryempfehlungen immer vom "Gemeinsamen Ausschuss"- je zwei Vertreter des Bundes bzw. des Berliner Senats getroffen.
  • Ihm gehörte jedoch im Jahr 2000 noch der Kurator mit Stimmrecht an, jetzt nicht mehr.
  • Ohnehin können z.Z. 750.000 Euro im Jahr ganz ohne Jury und Kurator vergeben werden. Über diese "Fondsreserve" entscheiden die Ministeriums- und Senatsvertreter allein.
  • Darüber hinaus kann der Gemeinsame Ausschuss mit dem Kurator eigenständig "kulturpolitische Schwerpunkte" verabreden und in deren Rahmen Anträge "vereinfacht", ohne Einschaltung einer Jury und ohne Mittelbegrenzung beraten und beschließen. Zur Zeit werden in diesem Rahmen etwa 2 Mio. Euro für verschiedene Festivals und Sasha Waltz &Guests verausgabt.
  • Darüber hinaus kann der Kurator eigenständig (d.h. ohne Juryentscheid) Projektempfehlungen - auch von der Jury abweichende - abgeben.
Ursprünglich sollten alle Förderentscheidungen von einer vom Rat für die Künste benannten Jury beraten und empfohlen werden. Nur im Ausnahmefall sollte der Gemeinsame Ausschuss eine nur durch Zeitnot begründete wichtige Einzelentscheidung treffen können. Diese Ausnahme ist heute eher zur Regel geworden. Inzwischen können nach der mehrmals geänderten Verfassung des HKF allein durch den Gemeinsamen Ausschuss ohne Jury bis zu 50% der Mittel oder mehr vergeben werden. Wir entsteht die Jury des HKF? Die Zusammensetzung und das Auswahlverfahren für die Jury sind weitestgehend verstaatlicht worden. Im Jahr 2000 wurden die Jurymitglieder vom Rat für die Künste benannt. Seit 2010 darf der Rat zusammen mit der Akademie der Künste und den beteiligten Verwaltungen des Bundes sowie des Landes selbst (!) nur noch Namensvorschläge machen. Die endgültige Auswahl und die für die Förderentscheidungen besonders wichtige Zusammensetzung der Jury trifft dann jedoch allein der "Gemeinsame Ausschuss", also die Vertreter des Bundes und Berlins. Institutionelle- und Dauerförderungen nehmen zu: Heißt es im Jahr 2000, "ausgeschlossen sind kommerziell realisierbare Vorhaben und solche, die sich im Rahmen der normalen Arbeit der kulturellen Institutionen Berlins mit deren Mitteln realisieren lassen", wie auch institutionelle Förderungen ausgeschlossen werden, sind diese oder ähnliche Einschränkungen heute abgeschwächt. Generell sind die aktuellen Förderkriterien allgemeiner und "weicher" geworden. Fazit: Über die Kritik an fragwürdigen Einzelentscheidungen hinaus muss über den Zweck und den Aufbau des Fonds eine grundsätzliche Debatte geführt werden, bevor er endgültig zu einem völlig intransparenten und auch von den Parlamenten kaum kontrollierbaren Schattenkulturhaushalt des Bundes und Berlins wird. 
Unabhängig von der generellen Kritik an der über die Jahre schleichend veränderten Struktur des HKF ist zu fordern:
  •  Ausnahmslos alle Projektanträge müssen der Jury zu Begutachtung vorgelegt werden. Die Entscheidungen sind bindend.
  • Einführung einer "Gästebank" zu den Jurysitzungen, an der Beobachter aus dem Kreis des Rates für die Künste, der Koalition der Freien Szene und des Deutschen Kulturrats teilnehmen können, um Außensicht und Transparenz zu gewährleisten.
  • Dauerförderungen bestehender Institutionen sind nicht aufgabe des HKF.
  • Projektvorschläge aus der Freien Szene werden zukünftig besonders berücksichtigt.
  • Die Zahlung angemessener Honorare in den Projekten werden zur Voraussetzung einer Förderung durch den HKF gemacht.
H. Mondry,  August 2012